Ist ihr Mann, mit dem Sie seit über 20 Jahren leben und sich über die Opern-Musik kennengelernt haben, gewissermaßen Ihre "Faustina"?
Nein, wir haben so eine Lebens-, Liebe- und Arbeitsgemeinschaft, die sehr stabil begründet ist. Aber von „faustinischen Abenteuern“ keine Rede.
Goethe wurde in seiner Italiensehnsucht gewissermaßen von den Werken von Johann Joachim Winckelmann inspiriert. Von wem oder was wurden Sie in Ihrer Italien-Liebe inspiriert, angesteckt? Literarisch gesprochen.
Ich war von vielen italienischen Autoren angetan: von Italo Svevo, dann natürlich von Natalia Ginzburg und Massimo Silone, für dessen Brot und Wein ich ein Vorwort geschrieben habe. Da gibt es so viele: Alberto Moravia und dessen frühere Frau Elsa Morante. Giorgio Manganelli und natürlich Tomasi di Lampedusa. Ich habe ganz viele italienische Literatur gelesen. Zum Teil auf Italienisch, um es zu lernen, aber letztlich habe ich Italien am besten über seine Musik verstanden: über die Opern, aber vor allem über die cantautori: also Paolo Conte, Lucio Dalla oder Totò Cotugno. Sie erklären einem Italien, und zwar über die Mafia, aber genauso über die Liebe, die Zerstörung genauso wie das Schöne, die Nudeln und Leidenschaft. Die singen über alles. Und dann hat man Italien im Griff, wenn man ihre Lieder hört.
Sie veröffentlichen im selben Verlag wie Roberto Saviano: beim Hansa-Verlag. Aber Saviano gehörte nicht zur offiziellen italienischen Delegation auf der Buchmesse.
Das war dumm und das ist diese blöde Angst. Gott sei Dank kam er trotzdem, weil der Verlag ihn eingeladen hat. Er ist ein ganz wichtiger Mann, der diese Mafia-Verflechtungen aufzeigt und dafür fast mit seinem Leben bezahlt, ständig bewacht werden muss und immer in Gefahr ist. Was sich jetzt in Italien tut und dass ganz langsam die Demokratie ausgehebelt wird und nach rechts rückt, erfüllt mich mit großer Sorge. Ich war neulich in Bologna, und an dem Tag kam Salvini und hielt da eine Rede. Und ich sah Bologneser Hausfrauen in Schürzen durch die Straßen gehen. Mit Plakaten, auf denen stand: meno Salvini, più tortellini (weniger Salvini, mehr Tortellini). Das fand ich sehr schön.
Was halten Sie vom Gastauftritt Italiens auf der Buchmesse?
Ich finde es schön, dass Italien nach 1988 wieder Gastland auf der Buchmesse war. Ich war sehr eng befreundet mit Inge Feltrinelli und war oft in Mailand in ihrem Verlag. Aber ich habe es noch nicht gesehen. Ein Freund sagte, der italienische Pavillon sei so tot wie ein Mausoleum. Da sei gar kein Leben gewesen.
Übrigens passt es ins Bild der faschistischen Geschichtsrevision der Meloni-Regierung, dass auf dem offiziellen Messe-Plakat mit dem Motto „Zurück in die Zukunft“ die typisch faschistischen Buchstabentypen aufgenommen wurden! Hat aber noch keiner richtig bemerkt!
Ach, ist mir gar nicht aufgefallen! Wahnsinn! Da passiert eine ganz ungute Sache: Eine kleine blonde Frau, die nicht unsympathisch ist, macht mit harter Hand eine Rückkehr in eine Zeit, von der wir dachten, wir hätten sie lange überwunden. Das ist nicht nur in Italien so. Das ist in Ungarn so. Das ist überall so. In den Niederlanden, aber auch in Deutschland mit der AfD. Das sind Strukturen, die ich überhaupt nicht begreife. Wir leben in einem demokratischen, gefestigten und paradiesischen Europa, wenn wir uns den erst der Welt angucken, und diese Idioten zetteln etwas an, was zu großen Flächenbränden führen kann. Ich finde das empörend und entsetzlich! Und dass mein Land dabei mitmacht, bricht mir das Herz.
Alle meine deutschen Freundinnen haben die Zeitschrift "Brigitte" gelesen und schmachteten förmlich nach Ihrer Kolumne.
Ja, ich habe 17 Jahre für die Brigitte eine Kolumne geschrieben, und zwar ganz einfach, aus dem normalen Frauenleben die Dinge mit Frechheit zu sehen. Mir fehlt heute Mut und Frechheit. Wenn ich eine Kolumne hätte, ich würde wahrscheinlich rundumschlagen. Und den Shitstorm, der dabei entstehen würde, könnte ich gut vertragen. Aber es gibt solche Kolumnen nicht mehr, weil das Internet ganze Landschaften, auch die politische, gravierend verändert hat. Wenn jeder Depp seine dumme Meinung im Internet vor Tausenden von Leuten sagen darf, ist das für mich nicht Meinungsfreiheit. Das ist Verblödung.
Sie gehören zu den Bestsellerautoren in Deutschland. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Ich habe kein Rezept. Ich schreibe so authentisch und ehrlich wie möglich. Das macht mir Freude. Ich liebe meine Arbeit. Und wenn es dann den Erfolg hat, sage ich dann: Ja, geschafft! Aber ich lege es nicht darauf an.
Und keine kann so begnadet wie Sie, Leichtes und Schweres miteinander verbinden.
Ja, ich weiß. Ich habe ein Talent, aber ich weiß nicht, woher es herkommt. Ich habe es nicht geübt, ich habe nichts damit gemacht. Es ist eine Gabe wie schöne Haare oder schöne Augen. Ich kann es einfach und das macht mir Freude.
Vom sogenannten offiziellen Literaturbetrieb werden Ihre Werke ein bisschen links liegen gelassen.
Eigentlich nicht. Ich habe viele Jahre die Büchersendung Lesen hatte und dann haben sie sich sehr um mich bemüht.
Zuletzt wurde aber Ihr aktueller Bestseller "Altern" in der Literatursendung "Druckfrisch" verrissen!
Das macht mir gar nichts aus. Denn Denis Scheck ist ein kleines wichtigtuendes Männlein, der um Mitternacht eine Sendung macht, die kaum jemand sieht. Der schwäbisch spricht, nicht einmal Hochdeutsch. Von dem ich nie einen gescheiten Satz in irgendeiner Zeitung gelesen habe. Wenn der mein Buch nicht mag, ist es eigentlich unwichtig.
In einem Beitrag, in dem es um Neapel ging, nannte er die neapolitanische Camorra Mafia!
Der kann nichts. Der haut es in die Tonne, und das ist der Punkt, der mich ärgert. Ob er das Buch gut findet oder nicht, ist mir völlig egal. Aber man haut nicht ein Buch, das eine Auflage von über 500.000 hat, einfach in die Tonne! Denn damit haut man 500.000 Leser als unmündig in die Tonne, und das ist im Grunde eine Unverschämtheit. Aber Denis Scheck ist in diesem ganzen Literaturbetrieb so unwichtig, dass alle nur darüber lachen.
Auch die deutsche Demokratie steckt in einer tiefen Krise.
Der Gedanke Demokratie hat sich nicht so richtig durchgesetzt. Die Leute wissen nicht mehr, was sie damit haben, und gefährden sie. Ich finde das sehr trostlos und schlimm. Da hat man wahrscheinlich lange Zeit Fehler gemacht, aber ich bin kein Politiker. Ich kann Ihnen nicht sagen, wo und wie das angefangen hat. Ich sehe nur überall viele meckernde Unzufriedene, die sich dann auf so eine Seite schlagen. Aber das ist falsch.
Einige Intellektuellen meinen, sie sei das Produkt einer gescheiterten deutschen Wiedervereinigung?
Ich finde die Wiedervereinigung richtig, vernünftig und gut. Auch nach 40 Jahren. Dass das nicht von heute auf morgen geht, ist auch klar. Dass sich viele benachteiligt fühlen, die 40 Jahre in einem anderen System gelebt haben und deren ganze Lebensgeschichte jetzt obsolet wird, ist auch klar. Aber anscheinend sind da so große Versäumnisse entstanden, dass sich diese Unzufriedenheit derart breit macht. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, wie man es ändert. Ich kann nur entsetzt davon Notiz nehmen.
Es überrascht auch, dass die Intellektuellen darüber weitgehend schweigen.
Eigentlich nicht. Jeder schreibt was, aber es nutzt nichts. Aber die AfD-Wähler lesen nicht, was die Intellektuellen schreiben. Das interessiert die gar nicht. D. h., wir haben zwei Gruppen. Deutschland ist gespalten. Aber gucken Sie doch nach Amerika. Wie kann es sein, dass ein riesiges Land wie Amerika zur Hälfte einen solchen Vollidioten unterstützt und wählen will wie Donald Trump? Ein Mann, der Frauen an die Pussy fasst. Ein Mann, der notorisch lügt. Ein Wichtigtuer, ein aufgeblähtes Arschlosch, und halb Amerika will ihn wählen. Können Sie mir das erklären? Nein! Das kann ich genauso wenig verstehen wie hier die AfD. Ich verstehe es nicht, aber ich kann nichts daran ändern. Ich kann nur selber anders wählen.
Aber man muss doch etwas dagegen tun können?
Man muss lesen, aufklären, aufklärerisch wirken. Im Kleinen versuche ich das mit meinen Büchern und Geschichten ja auch. Mehr kann ich nicht tun.
Kunst-Biennale Venedig: Am Puls der Zeit
von Vincenzo Delle Donne, Venedig
Die 60. Internationale Kunstausstellung von Venedig mit dem Titel Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere, kuratiert vom Brasilianer Adriano Pedrosa, hat ihre Pforten in den Giardini und im Arsenale eröffnet. Der Titel „Foreigners Everywhere“ ist aktueller denn je und stammt aus einer Reihe von Werken, die das in Paris entstandene und in Palermo ansässige Kollektiv Claire Fontaine seit 2004 geschaffen hat. Diese Werke bestehen aus Neonskulpturen in verschiedenen Farben, die die Worte „Foreigners Everywhere“ in verschiedenen Sprachen tragen. Pate für den Titel der weltgrößten Schau für moderne Kunst stand das gleichnamige Turiner Künstlerkollektiv, das Anfang der 2000er Jahre in Italien gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit kämpfte.
Die Biennale d’Arte moderna 2024, die ab dem 20. April für die Öffentlichkeit zugänglich ist, versteht sich ausdrücklich als ein Forum für junge Künstler. „Der Titel Ausländer überall“, erklärt Adriano Pedrosa, „hat mehr als eine Bedeutung. Erstens bedeutet er, dass Sie, wo immer Sie auch hingehen und wo Sie sind, immer auf Ausländer stoßen werden: Sie sind/wir sind überall. Zweitens, dass man unabhängig von seinem Aufenthaltsort im Grunde immer ein echter Ausländer ist“.
Die Ausstellung lenkt ein besonderes Auge auf die Produktion weiterer verwandter Themen: z. B. auch auf die queeren Künstler, die sich innerhalb unterschiedlicher Sexualitäten und Geschlechter bewegen und oft verfolgt oder verboten werden. Daneben richtet sich das Augenmerk aber auch auf die Außenseiterrolle der Künstler, die sich am Rande des Kunstbetriebs bewegen oder auch auch auf die stillen Protagonisten der sogenannten Volks- oder Populärkunst. Die Kunst dieser vier Themenbereiche bildet den Mittelpunkt dieser Ausgabe.
In den Corderie gibt es auch einen speziellen Bereich, der dem Disobedience Archive gewidmet ist, einem Projekt von Marco Scotini, der seit 2005 ein Videoarchiv entwickelt, das sich auf die Beziehungen zwischen künstlerischen Praktiken und Aktivismus konzentriert. Der „historische Kern“ der Schau besteht jedoch aus Werken des 20. Jahrhunderts aus Lateinamerika, Afrika, Asien und der arabischen Welt. Über globale Modernismen und jene des Südens der Welt ist viel geschrieben worden. Auf der diesjährigen Kunstbiennale werden ihre wichtigsten Werke ausgestellt. Wie in einem Essay, einem Entwurf, hypothetisch und experimentell. Dabei zielt alles darauf ab, die Grenzen und Definitionen moderner Kunst zu definieren, die über den sogenannten Modernismus Europas hinausgeht.
Im Fokus steht auch die Diaspora italienischer Künstler, die zwar ihrem Land den Rücken kehrten, aber in den USA, in Afrika, Asien, Lateinamerika oder Europa doch noch ihren Durchbruch schafften. Allesamt Künstler, die oft eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Erzählungen der Moderne außerhalb Italiens spielten.
An der venezianischen Kunstschau beteiligen sich insgesamt 88 Länder nicht nur in den historischen Pavillons in den Giardini und im Arsenale, sondern auch in vielen Palazzi der Altstadt Venedigs. Erstmalig sind vier afrikanische Länder auf der Kunst-Biennale vertreten: die Republik Benin, Äthiopien, die Demokratische Republik Timor-Leste und die Vereinigte Republik Tansania. Nicaragua, die Republik Panama und Senegal präsentieren sich hingegen zum ersten Mal einen eigenen Pavillon. Der von Ruth Patir gestaltete israelische Pavillon bleibt aus Protest gegen den Gaza-Krieg. Solange kein Waffenstillstand erfolge und die israelischen Geiseln in den Händen der Hamas nicht freigelassen würden, bliebe der Pavillon geschlossen, sagte die Künstlerin.
Ausstellung im Dogenpalast zu Marco Polos 700. Todestag
Von Vincenzo Delle Donne, Venedig
Wer war Marco Polo? Ein Reisender, ein Schriftsteller, ein Botschafter oder ein Präfekt am Hofe des großen und gefürchteten chinesischen Großkahns? Ein illustrer Händler, der einer venezianischen Patrizier-Familie angehörte? Oder war er vielleicht nichts von alledem und doch nur ein Hochstapler und Hasardeur, der eine unglaubliche Reise erfand, die ihm ein bescheidenes Vermögen und einen Platz in den Annalen der Geschichte einbrachte? Benutzte er womöglich Vorlagen anderer Abenteurer für seine Darstellung der Reise, die ihn angeblich über Anatolien, Armenien, Bagdad, Persien, die Wüste Gobi, den Gelben Fluss bis nach Khanbaliq, wie das antike Peking damals hieß, führte und insgesamt dreieinhalb Jahre dauerte? Eine Ausstellung im Dogenpalast von Venedig, die am 6. April eröffnet wurde bis zum 30. September 2024 läuft, bringt wenig Licht in dessen biographische Dunkelheit.
Marco Polo ist jedenfalls durch die Jahrhunderte zur Ikone und zum Mythos für das geniale Händlervolk der Venezianer geworden, das keine Grenzen kannte und sich um des Handels Willen in damals unbekannte Gebiete und Sphären vorwagte.
Marco Polo wurde am 15. September 1254 geboren und starb am 8. Januar 1324. Durch die Reisebeschreibung Der Milione, dessen erste Ausgabe um 1298 erschien und eine wahrhaft enzyklopädische geographische Sammlung über das Asien des 13. Jahrhunderts darstellte, wurde er überhaupt erst berühmt. Zurück in Venedig selbst führte der Präfekt des Großkhans ein relativ unbewegtes Leben. Waren die Beschreibungen seiner Reise nach China, die er zumeist zu Fuß zurücklegte, nur erfunden oder war er tatsächlich dort gewesen? Unter Historikern häufen sich die Stimmen derer, die behaupten, dass Marco Polo selbst gar nicht in China gewesen sei. Aufgeschrieben hatte seine sagenhafte Reise nämlich ausgerechnet ein bekannter toskanischer Mithäftling Marco Polos, der ein Fable für Ritterepen hatte. Er hieß Rustichello da Pisa und schrieb die erste Fassung auf Altfranzösisch. Weitere Ausgaben erschienen dann auf Lateinisch, Venezianisch und in anderen Sprachen. Mit der ersten lateinischen Übersetzung des Mönchs Francesco Pipino begann eine ungeahnte Verbreitung in ganz Europa. Il Milione wurde so zu einer wertvollen Quelle nicht nur über die Routen des Ostens, sondern auch über ihren Glauben und die praktizierten Religionen. Für die Dominikanermönche, die große Missionare und Reisende waren, wurde das Buch zur unerlässlichen Pflichtlektüre. In Venedig hatte Marco Polo tatsächlich den Spitznamen Milione, was aber dort eher Hochstapler oder Märchenerzähler bedeutete. Seine Suche nach Gewürzen, prächtigen Seidenstoffen, Gold, Edelsteinen und Elfenbein trieb ihn immer wieder an und ließ ihn unüberwindliche Hürden nehmen.
Laut der Aufzeichnung Il Milione brach er mit 17 auf, um mit seinem Vater Niccolò und seinem Onkel Matteo auf der Seidenstraße nach China zu gelangen. Sein Vater und sein Onkel, die geschäftliche Beziehungen zu Konstantinopel unterhielten und die als besonders tüchtige und unerschrockene Edelsteinhändler ihren Unterhalt verdienten, waren 1260 schon einmal nach China aufgebrochen und auch dort angekommen. Bei deren Abreise habe der Großkahn sie beauftragt, dem Papst eine Botschaft zu überbringen. Er möge ihm geweihtes Öl vom Jesus-Grab in Jerusalem zukommen lassen sowie etwa einhundert christliche Gelehrte, so der Großkahn, um das Evangelium unter seinen Untertanen zu verbreiten. Drei Goldtafeln, die ihnen der chinesische Herrscher geschenkt habe, dienten dann als Beweis für die erste China-Reise des Vaters und des Onkels.
1271 brachen die Gebrüder Polo erneut nach China auf, um die Forderung des Großkhans zu erfüllen. Diesmal nahmen sie zudem den jungen Marco mit. Sie hatten den päpstlichen Auftrag, den Großkhan nicht nur zum Christentum zu bekehren, sondern ihn auch als Bündnispartner gegen die Muslime zu gewinnen. Am Hofe des chinesischen Großkhans wurde Marco Polo, der dort zum Präfekten ernannt wurde, dann sein enger Berater und kehrte schließlich erst 1295 nach Venedig zurück - nach 24 Jahren.
Die Aufnahme Marco Polos in seiner Heimatstadt erfolgte trotz dieser einzigartigen Reise jedoch mehr oder weniger unspektakulär. Polos Spuren verloren sich überraschend, bis er für die Truppen der Seerepublik rekrutiert wurde. 1296 wurde er bei einer Seeschlacht gegen die Flotte der Seerepublik Genua in der Nähe der dalmatinischen Insel Korčula im Adriatischen Meer, bei der Venedig eine herbe Niederlage erlitt und der Doge daraufhin Selbstmord beging, gefangen genommen und in Genua eingekerkert. Der glückliche Zufall wollte es, dass Marco Polo dann im Kerker den Toskaner Rustichello da Pisa traf, dem er von seiner Reise nach China erzählte. Dieser war davon so begeistert, dass er Marco Polos Reisebeschreibungen aufschrieb: zunächst in Altfranzösisch unter dem Titel Divisiment dou monde. Unter Il Milione erlangte das Kompendium, das das gesamte Wissen über Asien am Ende des 13. Jahrhunderts beinhaltete, beinahe literarische Bedeutung.
Auch wenn Marco Polo nicht der erste war, der nach China gereist war, ist ihm zumindest eine detaillierte Reisebeschreibung zu verdanken, die es vor seiner Zeit so nicht gab. Sie inspirierte Generationen von Reiseabenteuern, nicht zuletzt auch Christophorus Columbus und lieferte wichtige Erkenntnisse zur Kartographie des Westens. Vor dem ersten Druck gab es mindestens 150 verschiedene Abschriften.Nach der Erfindung des Buchdrucks gehörte das Werk zu den am meisten kopierten und veröffentlichten Büchern. Columbus begleitetet eine Abschrift des Reiseberichts Il Milione auf seiner Suche nach der Seeroute nach Indien, die ihn dann zur Entdeckung Amerikas führte. Mit eigenen Anmerkungen hatte Columbus Polos Werk ergänzt. Heute wird dieses Exemplar in einem Museum in Sevilla aufbewahrt.
Nach seinem Gefängnisaufenthalt und der Veröffentlichung des Buches lebte der große China-Reisende Marco Polo in Venedig jedoch ein recht unspektakuläres Leben. Er heiratete, bekam drei Töchter und wohnte im Stadtteil Cannaregio. Kurz vor seinem Tod 1324 verfügte er die Freilassung seines mongolischen Sklaven Pietro Tartarino, dessen italianisierten Nachnamen man auch mit “der kleine Tatar” übersetzen könnte.
Marco Polo und Rustichello da Pisa: Benutzte das ungleiche Duo, das die Kerker der Genueser zusammengeführt hatte, gar eine Vorlage, die bereits in den Händen des Vatikans oder der Domenikanermönche war? Vielfach ist in der Forschung in Frage gestellt worden, ob Marco Polo überhaupt in China gewesen sei. Es existieren keinerlei Beweise, die dies zweifelsfrei belegen könnten. Weder wird Marco Polo in chinesischen Dokumenten erwähnt, noch können andere stichhaltige Quellen seinen Aufenthalt bestätigen. 1995 behauptete die Historikerin und Kuratorin der chinesischen Sammlung der British Library, Frances Wood, Marco Polo habe seinen Bericht aufgrund von Quellen anderer China-Reisender verfasst. Als Beweis führte sie seine mangelhafte Beschreibung der chinesischen Kultur an und auch, dass Polo mit keinem Wort die Chinesische Mauer erwähnte. Gegen diese These spricht allerdings Marco Polos genaue Beschreibung des chinesischen Salzmonopols sowie des Papiergeldsystems der Yuan-Dynastie.
Auf Marco Polos Aufzeichnungen bauten jedenfalls die ersten kartographischen Abbildungen der damals bekannten Welt auf. So entstand die erste Weltkarte von Paolino Veneto um das Jahr 1320, die er in der Chronologia Magna zeichnete, und die des Mönchs Fra’ Mauro, die um das Jahr 1460 erschien und in der er mit relativer Genauigkeit die geographischen Verhältnisse in Asien wiedergab. Neueste Archiv-Funde belegen nun, dass Marco Polo nach seiner Rückkehr 1298 aus Genua sich daran machte, die erste Version seiner von Rustichello da Pisa aufgeschriebenen Reisebeschreibungen zu überarbeiten. Das tat er zusammen mit den Dominikanermönchen des Klosters SS. Giovanni e Paolo.
In seinem in der Marciana-Bibliothek von Venedig gefundenen Testament vermachte Marco Polo überdies sein Vermögen sowohl seiner Ehefrau Donata als auch seinen drei Töchtern Fantina, Bellela und Moreta. Besonders aufschlussreich ist die Liste des Nachlasses, den Marco Polo seiner erstgeborenen Tochter Fantina vermachte. Viele Wertobjekte wie Bernsteinknöpfe, Stoffe mit eingewebtem Gold, Seidengewänder, orientalische Pferdezügel, diverse Goldstücke, und ein Goldtäfelchen, das die mongolischen Reiter als Passierschein benutzten, Rubine, Jade und Türkise, reich mit Edelsteinen und perlenverzierte Vasen Einrichtungsgegenstände aus Silber und Gold, sowie zwei Handelsverträge. Gerade diese orientalischen Wertgegenstände sind für Experten der Beweis für Marco Polos phantastische Reise nach China.
(Auszug aus „Venedig - Liebe, Leid und Laster“ von Vincenzo Delle Donne )
Venedig: Weihnachtskonzert im Markus-Dom
von Vincenzo Delle Donne, Venedig
Il Discobolo, der Diskuswerfer:
Wieder Zankapfel zwischen Deutschland und Italien
von Vincenzo Delle Donne, Rom
„Was hatte es mit dem Discobolo, dem Diskuswerfer auf sich?“ fragte ich Antonio Paolucci, der sich zunächst irritiert zeigte und dann prompt erwiderte: „1938 kaufte Hitler die antike Marmorstatue, die eine Kopie vom griechischen Bronzeoriginal war, dem römischen Fürsten Massimo Lancelotti ab. Er sollte dann eine der wichtigsten Propaganda-Skulpturen des III. Reichs werden. Nicht nur gegen diesen Verkauf legte schon damals der faschistische Minister Giuseppe Bottai sein Veto ein, aber ohne Erfolg.“
„Aber wenn diese Skulptur regulär gekaufte wurde, warum sollte es dann Beutekunst sein?“ Paolucci zuckte die Schulter und schwieg einige Sekunden. „Es ist so, als würde ich einen Vertrag mit Ihnen abschließen, während ich eine Pistole auf Sie gerichtet hielte!“ sagte er und geriet in Zorn.
Nach einer kurzen Überlegung holte er dann wieder aus: „Gute Frage, die ich aber ganz leicht beantworten kann! Denn nach den im Faschismus geltenden Gesetzen hätte diese Skulptur gar nicht verkauft werden dürfen. Auf Betreiben des damaligen faschistischen nationalen Erziehungsministers Giuseppe Bottai wurde schon 1938 ein Gesetz verabschiedet, wonach Kunstwerke nationalen Ranges nicht ins Ausland verkauft werden durften. Namhafte Kunsthistoriker wie Giulio Carlo Argan und Cesare Brandi halfen Bottai, eine entsprechende Liste von nationalen Kulturgütern zu erstellen. Die Leda mit dem Schwan, die der Leonardo-Werkstatt zugeschrieben wird, aber auch der Diskuswerfer gehörten dazu.“
„Und warum setzte sich Mussolini über dieses Verbot hinweg?“
„Sagen wir: Er wollte sich mit dem Gemälde bei Hitler einschmeicheln, er wollte es sich mit seinem übermächtigen Freund nicht verderben! Aber er wusste auch nicht, dass die Skulptur teuer verkauft worden war. Schließlich handelte es sich um einen Privatverkauf!“
„Übrigens: Wissen Sie wer den Kauf vermittelte?“ fragte Paolucci.
„Nein, helfen Sie mir auf die Sprünge, Herr Minister!“
„Ein deutscher Prinz und gleichzeitig der Schwiegersohn des italienischen Königs Viktor Emmanuel III.!“
Es sagte dies, als sei die Person weltbekannt, aber ich konnte zunächst damit nichts anfangen. Unbehagen machte sich jetzt bei mir breit. Langsam begann es, für mich peinlich zu werden. Aber ich wusste einfach nicht, wen er meinte.
„Geben Sie mir noch einen Hinweis, Herr Professor!“ bat ich.
„Das war der Ehemann von Mafalda von Savoyen! Philipp Prinz von Hessen, den sie 1925 heiratete und mit dem sie dann vier Kinder bekam.“
„Sie meinen die Mafalda, die 1944 im deutschen Konzentrationslager Buchenwald gestorben ist?“
„Ja, und dabei war dieser Prinz Philipp von Hessen ein Nazi der ersten Stunde! Er war der einzige Deutsche, der immer Zutritt zu den Arbeitszimmern Hitlers hatte!“
Später sei bekannt geworden, dass er auch Beziehungen zu Männern hatte, davor habe die deutsche Botschaft in Rom das italienische Königshaus vor der Heirat mit Mafalda sogar gewarnt.
„Wie kam der Diskuswerfer dann wieder nach Italien?“ lenkte ich das Gespräch wieder in die vorgegebene Bahn.
„Rodolfo Siviero, der der Delegation für das Auffinden und die Rückgabe von in Italien während des Krieges verschwunden Kunstwerken und Büchern angehörte, entdeckte das Werk im Münchner Central Collecting Point für Kunst und erreichte nach zähen Verhandlungen 1948 dessen Auslieferung nach Italien.“
In den Uffizien lagerten viele Kunstwerke, die in den Wirren des Krieges erbeutet und dann wieder aufgefunden worden waren. 1984 wurden diese Werke unter dem Titel „Verschwundene und wieder aufgefundene Meisterwerke“ für kurze Zeit im Palazzo Vecchio ausgestellt. Danach verschwanden sie wieder in dem dunklen Gemäldefundus.
Jetzt wurde die Konversation um einen weiteren Aspekt erweitert. Zu sehr hatte mich interessiert, was sich kurz vor Kriegsende in einer toskanischen Ritterburg abgespielt hatte: Hinter vorgehaltener Hand sprach man von einem beispiellosen Kunstraub durch deutsche SS- und Wehrmachtstruppen. Schauplatz: Castello di Poppi in Casentino. Hier waren die kostbarsten Exponate aus florentinischen Museen ausgelagert worden, um sie vor Raub und Zerstörung hinter etlichen Sicherheitstüren und einer Mauer zu schützen: einzigartige Skulpturen, kostbare Gemälde und antike Möbelstücke.
Am 22. August 1944, um 20 Uhr, klopften ein Hauptmann der deutschen Wehrmacht, ein Leutnant und ein Hauptfeldwebel der 305. Infanteriedivision, die damals unter dem Kommando vom General der Artillerie Friedrich-Wilhelm Hauck stand, unter einem Vorwand am Schlosstor. Sie verlangten Einlass, um das Schloss angeblich nach Waffen und Munition zu durchsuchen. Im Dorf seien nämlich Partisanen und Spione entdeckt worden. Die deutschen Truppen, die Italien nach der Kapitulation am 8. September 1943 besetzt hatten, waren auf dem Rückzug. In ihrem Kampf gegen die deutschen Truppen wurden die Kampfverbände der Alliierten von italienischen Partisanen hinter den Linien unterstützt. Die Maßnahme des deutschen Wehrkommandos schien also auf den ersten Blick rein militärischer Natur zu sein.
Im Inneren des Schlosses zückten sie dann ihre Pistolen und machten die Gemeindewache unschädlich, die für die Bewachung der Kunstgegenstände abgestellt war. Die Kiste mit der Aufschrift 8 nahmen sie sofort mit. Wild um sich schießend flüchteten sie mit der Beute. Das Fluchtauto hatten sie in de Nähe des Schlosses versteckt. In derselben Nacht kamen sie mit Lastwagen wieder, um weitere Kisten mit unschätzbaren Kunstgegenständen zu stehlen. Viele der gestohlenen Kunstwerke wurden nach dem Krieg wieder zurückgegeben. 1.500 wertvolle Kunstgegenstände sind jedoch seitdem verschollen. Der Kunsthistoriker Mario Bondioli Osio nahm nach mehr als einem halben Jahrhundert die mühselige Spurensuche wieder auf. In seinem Fokus insbesondere: 800 Gemälde, Skulpturen, Wandteppiche, Möbel, Stradivari-Geigen und Hunderte von Manuskripten.
Einzigartige Bronzestatuen, die Etrusker mit Römern verbinden
Von Gianluca Delle Donne
In toskanischen San Casciano nahe Florenz haben Archäologen im Schlamm einer jahrtausendealten Thermalanlage einen historischen Sensationsfund gemacht. Sie fanden mehr als 24 einzigartige Bronzefiguren, andere wichtige Gegenstände und Opfergaben sowie Tausende von Gold-, Silber- und Bronzemünzen, die aus dem 2. Jahrhundert vor Christus bis zum 1. Jahrhundert nach Christus stammten und das Verhältnis zwischen Römern und Etruskern neu beleuchten.
Woher kamen die Etrusker, löschten sie die Römer aus und wie war es um ihre Sprache bestellt? Diese brennenden Fragen erhalten jetzt durch die Exponate neue Nahrung. Insgesamt 60 Wissenschaftler aus der ganzen Welt sind mit der Auswertung dieses Sensationsfundes beschäftigt.
Der Archäologe Jacopo Tabolli von der Universität Siena, der die seit drei Jahren währenden Ausgrabungen leitet, sprach von einer „einzigartigen“ Entdeckung. Tatsächlich handelt es sich um den bisher größten Fund von perfekt erhaltenen Bronzestatuen aus der Etrusker- und Römerzeit nicht nur auf dem Gebiet des heutigen Italien, sondern auch im gesamten Mittelmeerraum. Im warmen Thermalwasser und -schwamm wurden die Votivkunstwerke gut erhalten und weisen sowohl etruskische als auch lateinische Inschriften auf. Sie belegen gleichsam das Zusammenleben beider Kulturen. „Während außerhalb des Heiligtums soziale und zivile Kriege ausgetragen wurden, beteten innerhalb des Heiligtums die großen etruskischen und römischen Elitefamilien gemeinsam in einem von Konflikten umgebenen Kontext des Friedens“, sagte Tabolli. Der Archäologieprofessor und früherer Leiter von Pompeji, Massimo Osanna, gab sich ebenfalls begeistert. Dieser Fund trage dazu bei, die Geschichte des antiken Verhältnisses zwischen Römern und Etruskern neu zu schreiben, sagte Osanna.
Raffaello di Sanzios 500. Todestag: Der Meister der Natur
von Vincenzo Delle Donne, Rom
Schöne, unglaubliche und absurde Legenden ranken sich um Raphaels Geburts- und Todestag. Am Karfreitag geboren zu werden, was wahrscheinlich unzutreffend und wohl Giorgio Vasaris grenzenlosem Schwärmen geschuldet ist, und am 6. April 1520 ebenfalls an einem Karfreitag viel zu früh zu sterben, wurde im „unheiligen Rom“ als Zeichen Gottes gewertet. Was Jesus für das Christentum war, sei Raphael gewissermaßen für die Renaissancekunst gewesen, so die Lesart der Zeitgenossen, die nebenher das Adjektiv „göttlich“ suggerierten. Mit nur 37 Jahren nach einer 15tägigen, mysteriösen Krankheit zu sterben, die ein stetig ansteigendes Fieber verursachte und gegen die die behandelnden Ärzte mit wiederholtem Aderlass vorgingen, nährte zusätzlich endlose Spekulationen. Vasari bezeichnete die Krankheit als „Liebeskrankheit“. Es kursierten aber viele Gerüchte über seinen Tod. Andere Quellen sprechen von Vergiftung. Aber von wem und warum? Hatten Raphaels Konkurrenten wie Michelangelo vielleicht ihre Hand im Spiel? Für diese wilden Spekulationen gab es nie den Hauch eines Beweises.
Die Gerüchte um den Meister mit dem engelshaften Gesicht waren in jedem Fall eines unumstrittenen Wunderkindes der Renaissance-Malerei würdig. Derjenige, dem schon bald nach seinem viel zu frühen Tod das Attribut „göttlich“ anhaftete, wurde entweder am 28. März oder am 6. April des Jahres 1483, um 3 Uhr nachts, als erster und einziger Sohn des Malers Giovanni de’ Santi und seiner Frau Maria di Battista di Nicola Ciarla in Urbino geboren. Apropos: Raphael wurde zur selben Uhrzeit wie Leonardo geboren, was als göttliches Zeichen einer Wahlverwandtschaft gewertet wurde. Zumindest sein Todestag stimmte offenbar mit dem Todestag von Jesus Christus überein. Daher auch das Attribut „göttlich“, mit dem Raphael auch noch Jahrhunderte nach seinem Tod von Künstlern und Literaten umschrieben und bewundert wurde. Einen wichtigen Anteil an seinem Talent und seiner Ausbildung hatte Raphael sicherlich seinem Vater Giovanni zu verdanken, der eine gut laufende Werkstatt im mittelitalienischen Stadtstaat Urbino betrieb. Er weihte ihn auch schon in frühen Jahren in die Geheimnisse seiner Malkunst ein. Von ihm lernte Raphael auch die Kunst der schwierigen Fresko-Technik. Zudem hatte Raphael durch seinen Vater die Möglichkeit, in den Herzogspalast von Urbino zu gelangen und so beispielsweise die Werke von großen Künstlern der Zeit wie Piero della Francesca, Luciano Laurana, Francesco di Girogio Martini, Pedro Berruguete, Giusto di Gand, Antonio del Pollaiolo und Melozzo da Forli aus der Nähe zu sehen und zu studieren. Hier herrschte derzeit der dritte Herzog von Urbino, Guidobaldo da Montefeltro, der die halbbayerische Gräfin Elisabetta Gonzaga geehelicht hatte.
Als Raphael 11 Jahre alt war, starb sein Vater. Schon in frühen Jahren erreichte er gleichwohl als Maler eine Reife, die für die Zeit eine viel beachtete Ausnahme war. Raphael erbte die Werkstatt des Vaters und führte sie mit einigen Mitarbeitern wie Evangelista da Pian di Meleto und Timoteo Viti zunächst weiter. Doch schon vor dem Tod seines Vaters hatte Raphael wohl die Möglichkeit, die Werkstatt von Pietro di Cristoforo Vannucci alias Perugino kennenzulernen. Der aus Città della Pieve stammende Maler, der zu den einflussreichsten Malern seiner Zeit zählte, unterhielt zwei wichtige Werkstätten in Florenz und Perugia. Zudem hatte Perugino als Meisterschüler zur selben Zeit wie Leonardo in der Werkstatt des Andrea del Verrocchio seine „mechanische Ausbildung“ erhalten.
In der umbrischen Hauptstadt setzte Raphael seine Ausbildung von 1494 bis 1498 fort. Sie erfolgte im Alter von 13 bis 15 Jahren. Schon bald danach ist in Peruginos Werken Raphaels Handschrift als Maler zu erkennen. Wo Farbnuancen zu natürlichen Formen von Menschen und Landschaften werden, in denen Licht und Schatten den Raum ausfüllen, und man die Umrisse plastisch wahrnimmt, ist Raphaels Malerhand deutlich auszumachen. Bei Perugino lernte das junge Talent zudem die Technik der Grotesken, die dann zu seinem großen ikonographischen Repertoire zählten. Sie stellten bestimmte antike Ornamente dar, die in der Renaissance neu interpretiert wurden. Diese ornamentalen Malereien, die durch einen Hirtenjungen in Neros verschütteten römischen Prachtvilla Domus aurea entdeckt worden sein sollen, und darum „Grottesken“(Grotte) genannt werden, waren damals Ausdruck des Exotischen und Regellosen, das den Bezug zu den christlichen Motiven bewusst ablehnte. Weil sie bizarr und phantasievoll waren, wurden sie von der Kirche als Ausdruck des Teufels oder als karnevalesk abgelehnt.
Raphaels erstes großes eigenständiges Werk geht wohl auf das Jahr 1498 zurück, als er gerademal 15jährig die Madonna col Bambino malte. Lange ging man davon aus, dass das Freskogemälde der Madonna mit Kind in dem Raum, in dem Raphael angeblich geboren wurde, vom Vater Giovanni gemalt worden war. Doch neuere Forschungen legen die Vermutung nahe, dass Raphael selbst es war, der seine Mutter Maria Ciarla als Madonna und sich selbst als Jesuskind abbildete. Maria sitzt dabei in einer Nische im Profil und hält zärtlich auf dem Schoß das mollige Jesus-Kind, während sie in ein Buch vertieft ist. Der Schatten um Marias Kopfpartie hebt mit Natürlichkeit Kopfform, Haarpracht und Frisur hervor und verweist auf Meisterwerke von Piero della Francesca. Hier kann man schon klar die Elemente von Raphaels Malerei erkennen, die seine Malkunst später unnachahmlich prägen sollten: die Intimität zwischen Mutter und Kind, das Hell-Dunkel-Spiel, das die beiden Figuren verbindet, aber auch die Natürlichkeit, mit der das Jesuskind auf dem mütterlichen Schoß schläft.
1499 zog der mittlerweile 16jährige Raphael mit den Kollegen der väterlichen Werkstatt nach Città di Castello, wo er den ersten großen Auftrag erhielt. Für eine örtliche Handwerkszunft, die sich bei der Madonna für das Überstehen der Pest bedanken wollte, malte er die Kirchenfahne Stendardo della Santissima Trinità. Das Werk stieß auf eine solch große Anerkennung, dass weitere Aufträge folgten. Im Vertrag über das Tafelbild Pala del beato Nicola da Tolentino, dessen Auftrag Raphael 1500 erhielt, wurde er übrigens als Erster genannt, und zwar mit der Bezeichnung magister Rafael Johannis Santis de Urbino, obwohl er erst 17 Jahre alt war. Schnell stieg er in der Folge zum gefragtesten Maler in ganz Umbrien auf. Gleichzeitig unternahm er nicht nur Reisen nach Florenz, Rom und Siena, um Kontakte für weitere Aufträge zu sondieren, sondern half auch seinem umbrischen Malerfreund Bernardino di Betto Betti alias Pinturicchio bei einem Auftrag im toskanischen Siena. Doch dann hörte er von anderen Künstlern vom Wettstreit der florentinischen Maler-Giganten Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarroti, die sich im Haus der Signoria in Florenz einen besonderen Wettkampf liefern würden. Der eine sollte die Fresken zur Battaglia di Anghiari (Schlacht von Anghiari) malen, der andere zu der Battaglia di Cascina (Schlacht von Cascina). Das war das Signal für Raphael, nach Florenz zu gehen und sich mit den zwei florentinischen Giganten zu messen. Giovanna Feltria, die Schwester des Herzogs von Urbino und Frau des Herzogs von Senigallia, der auch „Präfekt“ von Rom war, schrieb Raphael ein entsprechendes Empfehlungsschreiben. Im Brief vom 1. Oktober 1504 an den Chef der republikanischen Stadtregierung von Florenz, Pier Soderini, wurde der junge Sohn von Giovanni Santi bescheiden als „guter Handwerker“ bezeichnet, der einige Zeit in Florenz arbeiten wolle, um dazuzulernen. Das Dreigestirn der Malerfürsten war nun in einer Stadt versammelt. Raphael lernte in Florenz nicht nur dazu, sondern erhielt schon bald respektable Aufträge wie die Madonna del Prato und die Madonna Bridgemater. Besonders in diesem Gemälde zeigte Raphael eindrücklich, welche Lehren er von der florentinischen Malschule verinnerlicht hatte. Vor einem dunklen Hintergrund ist die strahlende Madonna mit einem Jesus-Kind abgebildet, das nach links ausweichen möchte. Die Bewegung der beiden Figuren, die in hellen und leuchtenden Farben gemalt sind, ist gegensätzlich. Ihre unterschiedlichen Gesten allerdings schaffen eine schlangenförmige Bewegung, die sie verbindet. Das pummelige Jesuskind sieht dabei seine Mutter Maria an, die abwesend-resigniert schaut. Das virtuos umgesetzte Hell-Dunkel-Spiel verweist auf die Malkunst Leonardos. Jüngste Untersuchungen haben ergeben, dass Raphael ursprünglich die Madonna mit Jesuskind vor einer Landschaft malte. Doch dann überlegte er sich anders und übermalte die Landschaft dunkel.
In der künstlerisch hoch anregenden Atmosphäre von Florenz freundete sich Raphael sofort mit namhaften Künstlern der Stadt wie Aristotile da Sangallo, Ridolfo del Ghirlandaio, Fra’ Bartolomeo und den Architekten Baccio d’Agnolo, Antonio da Sangallo, Andrea Sansovino sowie Francesco Granacci an. Schon nach kurzer Zeit war Raphael in der Stadt sehr angesehen. Insbesondere von Taddeo Taddei, der ihn oft zum Essen und zu seinen Festen einlud, weil er sich gern mit „tugendhaften Männern“ umgab, wie Vasari schreibt. Für ihn malte Raphael auch die Madonna del Belvedere. Die Madonna sitzt darauf vor einer Seenlandschaft und hält vor sich den kleinen Jesus bei seinen ersten Gehversuchen. Zu seiner linken Seite reicht ihm ein kleiner Heiliger Johannes ein Holzkreuz, das sein späteres Schicksal als Erwachsener antizipiert. Leonardos Einfluss ist nicht nur an der bläulichen, weichen Darstellung der Landschaft im Hintergrund zu erkennen, sondern auch an der Maria-Figur, die in ihren Gesichtsformen ein bisschen der Mona Lisa ähnelt. Aber sie lächelt traurig-natürlich vom Betrachter abgewandt. Rechts neben der Madonna sticht eine rote Mohnblume, die wie bei Leonardo auf das Leiden, den Tod und die Wiederauferstehung von Jesus Christus verweist, ins Auge.
Raphaels Aufenthalt in Florenz war für seine Malkunst maßgeblich, weil er hier nicht nur ausgiebig den Stil der „Lehrmeister“ des 15. Jahrhunderts wie Masaccio und Donatello studierte, sondern auch die Weiterentwicklungen von Leonardo und Michelangelo. Von Leonardo lernte Raphael beispielsweise, wie man die Figuren in Gruppen im Raum abbildete. Weniger angetan war er indes von dessen komplexen Anspielungen; er setzte eher auf die Darstellung spontaner und natürlicher Gefühle statt auf das psychologisch Unbestimmbare. Von Michelangelo verinnerlichte Raphael hingegen sein plastisches Helldunkelspiel, den Farbenreichtum sowie seine unnachahmliche Art, die Figuren in ihrer Bewegung darzustellen.
Raphaels Konkurrenz zu Michelangelo, der aufgrund seines Zorns schnell in Rage geriet, war zudem unbeschreiblich groß. Anfangs nährte Raphael gleichwohl eine große Bewunderung für Michelangelo und seine einzigartigen Skulpturen, die er mit großer Sorgfalt studierte. Er war beispielsweise sehr angetan von Michelangelos Studie zu dessen geplanten Fresko Battaglia di Cascina für den Rat der Stadt Florenz und von der Art, wie der Florentiner plastische Bewegung aus seiner Bildhauerei in die Freskomalerei umsetzte. Doch aus der anfänglichen Bewunderung wurde schnell eine rücksichtslose Rivalität, als beide in Rom um die Aufträge des Papstes buhlten. Der Konflikt spitzte sich zu, weil sich Donato Bramante vielfach auf die Seite seines Landsmannes Raphael schlug. Der Chefarchitekt des neuen Petersdoms war es vermutlich auch, der Papst Julius II. sein monumentales und sündhaft teures Grabmal ausredete. Das prächtige Mausoleum aus insgesamt 42 Marmorskulpturen, das Michelangelos erste große Auftragsarbeit in Rom gewesen wäre, hätte eine exponierte Stellung im neuen Petersdom einnehmen sollen. Am Ende wurde das Grabmal von Julius II. in Miniaturausgabe gebaut. Es wies am Ende insgesamt nur 7 Statuen auf, von denen Michelangelo 3 anfertigte. Selbst nach fast 40 Jahren konnte Michelangelo die „Tragödie des Grabmals“, wie er die Absage des Papst-Projektes bezeichnete, nicht verwinden. In einem seiner späten Briefe notierte Michelangelo voller Verbitterung: „All die Zwietracht, die es zwischen Papst Julius und mir gab, waren auf den Neid von Bramante und Raphael aus Urbino zurückzuführen (...) und Raphael war der eigentliche Grund. Dabei hat er all seine Kunst nur mir zu verdanken.“ Überlegenheit an der Grenze zur Überheblichkeit spricht aus diesen Worten. Aus etlichen Quellen geht tatsächlich hervor, dass Bramante Michelangelo beim Papst schlecht zu machen versuchte. Aber es nützte nichts. Michelangelo genoss nichtsdestotrotz große Sympathien beim Papst. Mit dem Auftrag, die Sixtinische Kapelle mit Fresken auszumalen, kompensierte er gewissermaßen den entgangenen Auftrag des Grabmals. Wenn es nach Bramante gegangen wäre, hätte Raphael den Zuschlag erhalten. Die ständige Rivalität zwischen den beiden Künstlern führte sogar dazu, dass sich Rom künstlerisch in zwei Lager teilte: in die Anhänger Michelangelos und die Raphaels. Die Figuren des „Göttlichen“ strahlen eine unnachahmliche metaphysische Aura aus und bestechen immer wieder durch ein mysteriöses Lächeln. Sie sind gleichzeitig real und irreal.
Raphaels Fresko „Schule von Athen“ bringt bildlich die Bedeutung der antiken Philosophie für die neue Zeit der Renaissance zum Ausdruck, die eine moderne Sicht auf das Lebens gibt. Er erhielt den Auftrag von Papst Julius II. 1508 auf Drängen von Donato Bramante, als er in Florenz arbeitete. Raphael war gerade mal 25 Jahre alt. Im Mittelpunkt des grandiosen Werkes stehen Platon, Aristoteles und Pythagoras. Raphael übernahm von Michelangelo dessen Darstellung der Körper, die oft einem unbeschreiblichen Tumult aus Körperlichkeit und Leidenschaft ähnelt. Deutlich lässt sich dieses Stilmittel am Profeta Isaia und im Incendio di Borgo ausmachen. Raphael lässt es sich nicht nehmen, seinem Erzrivalen ein malerisches Denkmal zu setzen. Er bildet Michelangelo in der Figur des Heraklit im Vordergrund ab. Die Aufteilung in Gruppen erinnert aber auch an Leonardos Letztes Abendmahl in Mailand. Das dokumentiert, wie empfänglich Raphael für die Neuerungen seiner Rivalen war, die er nicht nur nachahmte, sondern auch übertraf. Egal, ob es die Farbfröhlichkeit eines venezianischen Malers, die Weichheit und die Überhöhung eines Leonardo oder der Bewegungsreichtum eines Michelangelo war. Er studierte zwar aufmerksam die künstlerischen Elemente seiner Rivalen, übernahm und mischte sie aber neu, so dass seine eigene künstlerische Handschrift nicht nur Gestalt annahm, sondern sich im Dreigestirn der Renaissance als der „göttliche Mittelpunkt“ des Künstleruniversums erwies. Nicht Michelangelo und schon gar nicht Leonardo wurden die neuen Baumeister der Baustelle des neuen Petersdoms, als Donato Bramante starb. Der neue Baumeister, den der Medici-Papst zum Nachfolger von Bramante ernannte, hieß Raphael, und es überraschte keinen in der römischen Künstlerfraktion. Denn Raphael wurde gemeinhin als der uneingeschränkte „Künstler-Gott“ angesehen, bis er überraschend am Karfreitag des Jahres 1520 starb.
In Raphaels Nachlass befand sich auch das profane Tafelgemälde la Fornarina, die Bäckerin. Raphael malte die schöne, junge Muse zwischen 1514 und 1519. Kunsthistoriker gehen davon aus, dass sie Raphaels Geliebte war, die er auch in den Tafelbildern Velata und in der Madonna Sistina malte. Leonardo hatte Salaj, Michelangelo Tommaso de’ Cavalieri und Raphael die Bäckerstochter Margherita Luti aus dem römischen Stadtteil Trastevere. Ihr Vater war der Bäcker Francesco Luti, der den Spitznamen Senese hatte, weil er wahrscheinlich aus Siena stammte. Den doppeldeutigen Namen erhielt das Gemälde, auf dem Raphael seine Geliebte darstellte, erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Einige Kunsthistoriker mutmaßten etwas kühn und vorschnell, dass sie eine römische Hure gewesen sei. Von Margherita Luti existieren indes keine genauen Angaben weder zu ihrem Geburts- noch zu ihrem Todestag. Lange Zeit hieß es etwas vage, sie sei nach Raphaels frühem Tod ins Kloster gegangen und kurze Zeit später verstorben. 1897 entdeckte dann der Kunsthistoriker Antonio Valeri tatsächlich eine Urkunde, die diese Hypothese bestätigte. Im Dokument aus dem römischen Kloster Sant’ Apollonia a Trastevere heißt es wörtlich: „Heute, am 18. August 1520, wurde in unserem Kloster Madama Margherita, Witwe und Tochter des Francesco Luti di Siena, aufgenommen.“ Der Zusatz „Witwe“ lässt darauf schließen, dass Raphael sie wohl heimlich geheiratet haben musste.
Das sinnlich-natürliche Gemälde war wohl für einen privaten Auftraggeber bestimmt. Auf dem Akt zeigt eine schüchtern blickende junge Frau, die im Dreiviertelportrait im direkten Licht nach rechts schaut, mit bestechender Natürlichkeit ihren nackten Oberkörper. Mit ihrer rechten Hand hält sie einen kleinen Schleier, der ihren Bauch bis unter ihren linken zierlichen Busen bedeckt. Ein roter Umhang verhüllt ihre Beine. An ihrem linken Arm trägt sie einen blauen Armreifen, auf dem deutlich die Signatur des Malers zu lesen ist. Ihr Haar wird von einem grünblaugestreiften Seidenturban bedeckt, der mit einer Brosche aus zwei Edelsteinen mit einer hängenden Perle zusammengehalten wird. Im Hintergrund ist ein dichter Myrtenbusch zu sehen, der auf die Venus anspielt. Man könnte das Gemälde auch als Raphaels Antwort auf Leonardos Mona Lisa interpretieren, auf dem eine junge Frau liebreizend und sinnlich ihre unverstellte natürliche Schönheit zur Schau stellt.
58. Kunst-Biennale in Venedig: Ralph Rugoff kuratiert
von Vincenzo Delle Donne, Venedig
Ralph Rugoff hat bei der Pressekonferenz im Biennale-Palazzo am Canal Grande nichts von seiner stoischen Ruhe verloren, auch wenn Biennale-Präsident Paolo Baratta ihn schlagartig ins internationale Rampenlicht der modernen Kunstwelt katapultiert hat. Rugoff redet langsam und bedächtig, als dozierte er vor einer Klasse von Kunststudenten über die Rolle der zeitgenössischen Kunst heute. Dabei ist der 61jährige Leiter der Londoner Hayward Gallery, der in New York geboren wurde, ab sofort Kurator der 58. Esposizione Internazionale d’ Arte di Venezia, die auch unter seiner Ägide 2019 den Nabel der modernen Kunstwelt darstellt. Kunst und Zeit, Interkonnession und Erfahrung scheinen dabei die Kategorien, auf die Rugoff programmatisch setzt. Seine Kunstschau in der Lagunenstadt hat den klar filosofischen Titel May You Live in Interesting Times (Mögest du in interessanten Zeiten leben!).
Der merkwürdig klingende Titel der venezianischen Kunstschau geht auf einen alten chinesischen Fluch zurück, den in den Dreißiger Jahren der glücklose britische Primeminister Austen Chamberlain in einer Rede aufgriff. Drei Jahrzehnte später verhalf ihm der rhetorisch brillante Robert Kennedy in den Sechzigern zu neuerlichem Ruhm, ehe er ermordet wurde. In einer immer düster werdenden Zeit, in der im Westen der Populismus, der Nationalismus und der unbegründete Irrationalismus seltsame Stilblüten feiert, kommt den Künstlern und ihrer Kunst eine wichtige Mittlerrolle zu. Sie sind Rufer in der Wüste und sollen dazu beitragen, den Abgrund zu erkennen und die drohende Katastrophe zu vermeiden.
“Die Bedeutung der Kunstwerke ist nicht in den abgebildeten Objekten”, betont Rugoff, “sondern im Dialog, den sie verursachen: in erster Linie nicht nur zwischen dem Künstler und seinem Werk und dem Betrachter, sondern auch zwischen den unterschiedlichsten Betrachtern.” Für Baratta, der vor nunmehr 20 Jahren das neue Konzept der Öffnung der Kunst-Biennale nach außen propagiert hat, ist Rugoffs Wahl die “Garantie für eine formale Klarheit” (Baratta). Er soll dafür sorgen, dass wieder über 600.000 Besucher aus dem In- und Ausland in die Lagunenstadt pilgern.
Die Kunst-Biennale, die vom 11. Mai bis 24. November hauptsächlich im Arsenale und in den Giardini, wo die nationalen Pavillons sind, zu sehen sein wird, wird kein genaues Thema vorgeben. “Aber im Vordergrund steht gleichwohl die Annäherung an die Kunst sowie ihre soziale Funktion, die nicht nur den Kunstgenuss, sondern auch die Kritik betont”, so Rugoff. Seit über 30 Jahren habe er großen Spaß daran, verschiedene Formen der Kunst zu erkunden und sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen. Aufmerksamkeit erlangte er vor allem durch die unkonventionell kuratierte Kunstschauen, die Rekordbesucherzahlen erreichten und die Kritik als “populär” bezeichnete.
Auf der Kunst-Biennale kann Rugoff sich förmlich austoben und jene „Interkonnession“ in Kunst und Gesellschaft zelebrieren, die schon Leonardo und Lenin thematisierten und die er zu seinem Leitmotiv erklärt hat. Man darf also auf den Dialog gespannt sein, den eine so geartete Kunstkonzeption unter Künstlern, Kunstliebhabern und Kritikern entfachen wird.
16. Architektur-Biennale in Venedig:
oder: die Suche nach Freiräumen
von Susanne Delle Donne
Die Vorgabe war von vorneherein sehr ambitioniert: Es sollte um das Nachdenken über freie, öffentliche und kostenlose Räume gehen, die es in der riesigen Welt der Architektur zuhauf gebe. Herausgekommen ist ein wahrhaftiges Manifest über die Bedeutung des freien Raumes, was Biennale-Präsident Paolo Baratta sehr zu freuen scheint. Freespace ist folgerichtig das ambitionierte Motto der 16. Biennale dell’Architettura 2018 di Venezia, die diesmal das bekannte irische Architekten-Duo Yvonne Farrell e Shelley McNamarakuratieren. Die weltgrößte Architektur-Schau mutet tatsächlich auch sinnlich, farbenfroh, kreativ und optimistisch an. Aber auch ein bisschen exaltiert. Sie ist fast schon eine Hymne an die vielen generösen und aufrüttelnden Projekte aus der ganzen Welt. Auch aber eine Metapher für eine Architektur, die das Spiel mit Licht, Sonne, Schatten, Mond, Luft, Wind und Anziehungskraft förmlich und variantenreich zelebriert. Ob sie repräsentativ ist, möge dahingestellt sein.
Es ist in diesem Sinne kein Zufall, dass die Kuratorinnen dem Motto der Schau das alte Sprichwort voranstellten: “Eine Gesellschaft kommt nur voran und schreitet fort, wenn Ältere Bäume pflanzen, in deren Schatten sie sich nie setzen werden”. 71 Teilnehmer aus 65 Ländern suchten die Kuratorinnen aus und unterteilten sie in zwei Sektionen: die erste in Close Encounter, meetings with remarkable projects, die bekannte Arbeiten aus der Vergangenheit kritisch reflektieren; die zweite hingegen, The Practice of Teaching, versammelt Arbeiten aus den Lehr-Räumen: gewissermaßen Lehrstücke der freien Räume. Die interessantesten Beiträge kommen aus Antigua & Barbuda, Saudi Arabien, Guatemala, dem Libanon, der Mongolei, Pakistan. Apropos: der Heiligen Stuhl ist auf der Insel san Giorgio erstmalig vertreten. Die Namen der Architekten sind allesamt wohlklingend: Álvaro Siza Vieira, l’Atelier Peter Zumthor & Partneroder die BIG - Bjarke Ingels Group. Highlights sind auch die Beiträge von David Chipperfield Architects, des japanischen Architekten-Duos Kazuyo Sejima+Ryue Nishizawa / SANAA bis hin zum Architektur-Büro Odile DECQ, das sehr fantasievoll den unsichtbaren Raum umgesetzt hat.
Italien wartet mit einem interessanten Beitrag von Mario Cucinella auf, der den Namen “Archipel italien” trägt und eindringlich zeigt, wie sich der Apennin langsam entvölkert und damit ein Teil seiner Kultur unwiederbringlich verlorengeht. Hier zeigt sich, dass Italien dringend eine Zuwanderung braucht.
Der deutsche Beitrag im deutschen Pavillon steht hingegen unter dem Motto "Unbuilding Walls" und befasst sich mit den baulichen Folgen der deutschen Teilung im ehemaligen Grenzgebiet. Also mit der Frage, wie Leerräume wieder zu tatsächlich freien Räumen werden können. Beispiele sind der einstige Grenzkontrollpunkt Checkpoint Charlie in Berlin, der Europa-Radweg entlang des "Eisernen Vorhangs", das zugewucherte Dorf Jahrsau nordöstlich von Salzwedel oder der Potsdamer Platz in Berlin-Mitte. Kuratoren der Ausstellung sind die frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, und das Berliner Büro Graft mit den Architekten Lars Krückeberg, Wolfram Putz und Thomas Willemeit. Aber hier drängt sich die Frage auf: freie Räume für wen? Sicherlich nicht immer für die Menschen im Allgemeinen, sondern vielmehr für die Finanzpotentaten dieser Welt, die nach neuen Anlagenmöglichkeiten suchen, wie die jüngste Immobilienpreisententwicklung in Berlin zeigt.
Am Ende hoffen die Kuratorinnen gleichwohl, etwas von ihrer optimistischen Sicht auf die Architektur insgesamt zu vermitteln, indem sie blauäugig die „Gabe“ der Eingebung durch die Architektur beschwören. Möge ihr „Manifest“ sich vielleicht doch durchsetzen, kann man hier nur wünschen.
Raphaels “Fornarina": rätselhaft schöne Bäckerstochter oder römische Edelhure?
von Gianluca Delle Donne
15. Architektur-Biennale in Venedig: auf der Suche nach neuen städtebaulichen Impulsen
von Susanne Delle Donne
Der martialisch anmutende Titel der 15. Architektur-Biennale „REPORTING FROM THE FRONT“, den der chilenische Kurator und frischgebackene Pritzker-Prize-Träger Alejandro Aravena gewählt hat, suggeriert, dass die moderne Architektur derzeit einen (aussichtslosen?) Krieg kämpft - im Spannungsfeld von stetiger Urbanisierung oder Verödung und handfesten Kapitalinteressen. Das führt dazu, dass der überwiegende Teil der Menschheit vom Segen der modernen Architektur ausgeschlossen ist und nur „vor sich hinhausen“ kann. In der Tat versteht sich diese Ausgabe der Biennale in Venedig unter der Ägide des etwas behäbig wirkenden Präsidenten Paolo Baratta als ein Front-Bericht der besonderen Art. Schon allein die Wahl, den relativ jungen Chilenen als Kurator der diesjährigen Ausgabe zu bestellen, war für viele Arrivierte der Zunft eine Provokation. Schließlich hatte Aravena eher durch das sogenannte partizipative Bauen für die Ärmsten und mit den Ärmsten von sich Reden gemacht. Ein Thema, das in Südamerika hochaktuell ist. Er ging gleichwohl sehr selbstbewusst die Aufgabe an und ließ sich auch davon nicht beirren, dass die zwei letzten recht erfolgreichen Ausgaben von den Stararchitekten David Chipperfield und Rem Koolhaas kuratiert worden waren. Aravena will auf der sowohl in den Giardini und im Arsenale als auch in den anderen Ausstellungsräumen der Stadt zu sehende Schau neue Sichtweisen auf die Architektur provozieren. Das deklarierte Ziel des derzeitigen Professors für Elemental-Copec an der Katholischen Universität von Chile ist es also, in der modernen Architektur neuen Sichtweisen Raum zu geben. Kein Wunder also, dass er in der 65 Länder umfassenden Architektur-Schau insbesondere jungen aufstrebenden Talenten ein neues Forum gibt.
Das Leitmotiv der Ausstellung Alejandro Aravenas lieferte übrigens eine deutsche, aus Dresden stammende Mathematik-Lehrerin, die als südamerikanische „Archäologin“ mit der systematischen Untersuchung der Nazca-Linien berühmt werden sollte. "Während seiner Reise nach Südamerika“, führt Alejandro Aravena aus, „traf Bruce Chatwin eine ältere Dame, die zu Fuß durch die Wüste ging und dabei eine Aluminiumleiter auf ihren Schultern trug. Es war die deutsche Archäologin Maria Reiche, die die Nazca-Linien studierte.“ Wenn man die Steine und alten Relikte vom Boden betrachtete, versetzte die unermüdliche Hobby-Archäologin, schienen sie sinnlos und trivial zu sein. Aber von der Spitze der Leiter verwandelten sich die Steine in Vögel, Jaguare, Bäume oder Blumen. Durch ihre neue Sichtweise nahmen so riesigen Scharrbilder in der Wüste bei Nazca und Palpa in Peru Gestalt an. Ein Bild oder besser eine Vorgehensweise, die Biennale-Präsident Baratta gerne auf die moderne Architektur übertragen würde. Denn die moderne Architektur sei ein „desolates Land immenser, von Menschen bewohnter Gebiete, auf die die Menschheit kaum stolz sein kann; sehr enttäuschende Lösungen, die unzählige verpassten Chancen für das Verständnis und die Wirkung der menschlichen Zivilisation darstellen. Viele Realitäten seien einfach tragisch und verursachten Gewalt, andere erschienen trivial, und alle markierten gleichwohl das Verschwinden der Architektur.
Über diese so beschaffene Architektur präzisiert Aravena unverblümt: "Sie ist das Resultat von Regeln, Interessen, Wirtschaft und Politik, oder vielleicht auch des Mangels an Koordination, von Gleichgültigkeit, aber auch Zufälligkeit. Diese architektonischen Formen jedoch können das Leben der Menschen verbessern oder zur Hölle machen. Die Bedingungen wie Mangel an Ressourcen oder sehr restriktive Beschränkungen sind eine ständige Bedrohung für rationale und am Menschen orientierte Lösungen.“ Aravena benennt in diesem Kontext auch den Negativeinfluss von „Gier und die Hektik der Hauptstadt, Dummheit und Konservatismus des bürokratischen Systems, die dafür sorgen, dass banale, mittelmäßige und langweilige Orte entstehen.“
Der spanische Pavillon in den Giardini ist ein Highlight. Das Produkt ist wirklich bemerkenswert, weil die Kuratoren Carnicero+Quintans die Entwürfe von aufstrebenden jungen Architekten ausgesucht haben, die durch das Engagement und Kreativität die Grenzen von Materialien und Kontext überwinden. Kein Wunder also, dass die Biennale-Jury just dem spanischen Pavillon den Goldenen Löwen für das beste nationale Konzept verlieh. Die im amerikanischen Pavillon ausgestellten Arbeiten entwickeln hingegen die Konzepte gegen die Verödung der ehemaligen Autometropole Detroit. Gegen den gespenstischen Leerstand setzen die Architekturwissenschaftlerinnen Mónica Ponce de Léon und Cynthia Davidson die belebende Idee, marode Stadtstruktur als Hebel für neue Stadtentwicklungen anzusehen. Die Ausstellung ist zwar gut gemacht, aber die Konzepte entwickeln keine neuen Gedanken, sondern fußen auf alten Ideen.
Neue, aktuelle Akzente setzt auch der deutsche Pavillon, das unter dem Titel „Making Heimat, Germany, Arrival Country“ stand und von den Kuratoren Peter Cachola Schmal und Oliver Elser verantwortet wird. Bei den vorgestellten Projekten geht es um die Unterbringung von Flüchtlingen. Großformatige Fotos von neun ausgewählten Projekten zeigen, wie die Unterbringung schnell und human gewährleistet werden kann. Die Kuratoren wollen dies als Diskussionsbeitrag verstehen. Doch statt neue Fragen zu formulieren, wie beispielsweise die Integration der Flüchtlinge architektonisch flankierend begleitet werden kann, beschränkt man sich auf eine nüchterne Bestandsaufnahme. Gleichwohl ist die Idee gelungen, durch die vier Öffnungen im Pavillon zu demonstrieren, dass Deutschland ein offenes Land sei.
Der Goldene Löwe für den besten Teilnehmer ging übrigens an Gabinete de Arquitectura (Solano Benítez; Gloria Cabral; Solanito Benítez - Paraguay) für die Umsetzung von Materialien, struktureller Einfachheit und ungelernter Arbeitskräfte, damit die „neue Architektur“ auch jene Schichten erreicht, die bislang davon ausgeschlossen waren. In den vielen Favelas Südamerikas beispielsweise, aber auch in Venedigs Industrievorort am Festland Mestre ist diese Thematik aktueller denn je. „Der soziale Nutzen der Architektur“, fordert Aravena, „muss wieder stärker ins Gewicht als die Interessen des Kapitals fallen.“ Vor Journalisten wurde Aravena für diese Aussage mit tosendem Beifall bedacht. Doch mit dieser utopischen Sicht der Architektur dürfte er sich weiterhin als Don Quijote der Architektur darstellen.
von Gianluca Delle Donne
Vittorio Cini war ein umtriebiger Tausendsassa und eine schillernde Jahrhundertfigur obendrein. Er war Faschist, Industrieller und Kunstmäzen und stammte eigentlich aus Ferrara. Cini war auch ein leidenschaftlicher Venedig-Liebhaber, und zwar so sehr, dass er die Lagunenstadt zu seiner Wahlheimat auserkor. Im Dorsoduro kaufte er sich einen repräsentativen Palazzo und lebte zeitlebens hier - bis zu seinem späten Tod. Cini gelang auch das Kunststück, vom italienischen Staat eine gesamte Insel gewährt zu bekommen: die San Giorgio-Insel mit ihren diversen kunsthistorischen Schätzen, die er dann gleichsam in Eigenregie restaurieren ließ. Auf der Insel hat jetzt die renommierte Fondazione Cini, die den künstlerischen Nachlass des im Faschismus geadelten Unternehmers, ihren Sitz.
Cinis Palazzo nahe des Guggenheim Museums ist hingegen seit geraumer Zeit ein kleines, aber feines Museum und ein künstlerischer Insidertip der besonderen Art. Jetzt sind im zweiten Stock unter dem Titel „Capolavori ritrovati“ außergewöhnliche Meisterwerke aus Cinis Privatsammlung zu sehen, die sagenhafte Meister des 14. bis zum 18. Jahrhunderts wie Crivelli, Tizian, Lotto, Guardi, Canaletto und Tiepolo umfasst.
Die Malerei des 14. Jahrhunderts beispielsweise ist durch die großen malerischen Wegbereiter Guglielmo Veneziano, Nicolò di Pietro oder Michele Giambono vertreten, die die spätgotische Malerei in Venedig zur Hochblüte trieben. Die Renaissance-Malerei ist indes durch die außergewöhnliche Madonna Speyer repräsentiert: ein Werk wie ein künstlerisches Vermächtnis des Malers Montagna, dessen Einfluss durch Mantegna, Bellini und Antonello da Messina unverkennbar ist.
Bemerkenswert ist auch das rätselhafte Gemälde San Giorgio che uccide il drago, das erst kürzlich definitiv Tizian zugeschrieben wurde. In Cinis Privatsammlung durften natürlich die großen Vertreter der venezianischen Malerschulen wie Canaletto, Antonio und Francesco Guardi sowie Tiepolo nicht fehlen.
Die zwei Capricci aus Canalettos Frühwerk sind in der Sammlung gleichsam das Pendant zu den vier erhabenen Capricci von Francesco Guardi und den zwei kleinen Zeichnungen für das Tafelbild von Giambattista Tiepolo. Von Antonio Guardi stammen hingegen drei Zeichenbücher, die auf 58 Blättern wichtige Etappen der Geschichte Venedigs illustrieren.
Christine Macel: Das feminine Gesicht moderner Weltkunst und die Kuratorin der 57. Kunstbiennale in Venedig
von Susanne Delle Donne
Kitsch oder Kunst in Florenz? Hitzige Debatte um den „König und Königin der Unterwelt“
von Gianluca Delle Donne
„Pluto e Proserpina“ heißt das famose Kunstwerk von Jeff Koons, das golden leuchtend in Florenz die Gemüter erhitzt. Stand es doch für einige Monate gleich neben Michelangelos David auf der Piazza della Signoria, gewissermaßen auf Augenhöhe mit dem unerreichten Renaissance-Meister. Schon das war für viele waschechte Florentiner ein unsäglicher Affront. Von der ironisierenden Wirkung von Kitsch und Kunst, auf die Koons abziele, hielten sie wenig. Einige witzelten gar, Koons habe die Mächtigen in der Wiege der Renaissance mit der Aussicht auf weltweite mediale Aufmerksamkeit überlistet und getäuscht, denn das Kunstwerk sei nichts Anderes als das überdimensionale Produkt eines 3D-Druckers. Andere erkannten darin, dass der US-amerikanische Künstler sich damit nur die nötige Publicity verschaffen wollte. Schließlich sei die „Orangerie der Stadt“ über Jahrhunderte hinweg nur florentinischen Künstlergenies vorbehalten gewesen. Künstlern mit Koons’ gleichen Ansinnen wie beispielsweise Henry Moore erteilte man in den Siebzigern eine erboste Absage.
Der Stadtvater von Florenz, Dario Nardella, jedenfalls mochte darin nichts Verwerfliches sehen und gestattete Koons die Aufstellung seines Kunstwerks - wenn auch auf Zeit, beschränkt eben auf wenige Monate.
Schon daran kann man ablesen, dass Koons äußerst gewieft ist - in Sachen Kunst und vor allem Kommerz. Schließlich ist er seit spätestens 2013 mit seinem für 58,4 Millionen Dollar versteigerten Balloon Dogs (Orange) zweifelsohne der teuerste lebende Künstler der Welt. Und um seiner Karriere auf die Sprünge zu helfen, meinen Kritiker, habe er nicht einmal davor zurückgeschreckt, den berühmten Pornostar „Cicciolina“ (Pummelchen), die sogar im italienischen Parlament saß, abzubilden und später gar zu ehelichen. Die Liaison ging bekanntlich schon früh in die Brüche und artete dann zu einem unappetitlichen Rosenkrieg aus, als es um das Sorgerecht des aus der Ehe hervorgegangen Sprosses Ludwig ging.
Jetzt steht in Florenz die Frage an, wohin mit Koons Kunstwerk. Der Künstler hat schon angedeutet, es für eine weitere unbestimmte Zeit der Stadt Florenz zu überlassen, wenn sich ein angemessener Ausstellungsort dafür fände. Die Suche gestaltet sich aber schwierig. Eines ist gewiss: Von der Piazza della Signoria soll das Kunstwerk spätestens Ende Januar verschwinden. Proserpina ist übrigens eine römische Göttin, die u.a. dafür sorgen soll, dass der Weizen wächst. Der Weizen ist in der italienischen Umgangssprache ein Synonym für Geld. Pluto, der König der Unterwelt, raubte sie und machte sie zu seiner geliebten Königin.
Glanz und Untergang in Pompeji
von Gianluca Delle Donne
Sie erstrahlen nun wieder in altem Glanz: die sagenhaften römischen Villen, die vom Reichtum einer untergegangenen Stadt zeugen und mehr als 18 Jahrhunderte lang unter Lava unfreiwillig für die Nachwelt konserviert wurden. 6 von über 1500 noch zu restaurierenden Häusern, die man vor dem Einsturz bewahren muss. Es handelt sich um die Fullonica von Stephanus, die Häuser des Criptoporticus, Paquius Proculus, von Sacerdos Amandus, von Fabius Amandius und das Haus des Ephebes.
Die Villa Fullonica von Stefanus ist das Paradebeispiel einer außergewöhnlichen Bottega von vor 2000 Jahren. Die Familie Fullones waren sehr mächtig und gehörte zu den wichtigsten politischen Strippenziehern in Pompeji. Das dokumentiert auch das reiche Interieur ihres Ladens und des Hauses. Gleich nebenan liegt die Domus des «Criptoportico», die ihren Namen vom etwas versteckten Portico unter ihrem Garten erhalten hat. Im Mittelpunkt der Freskenverzierungen, die man im gemäßigten Bad „Tiepidarum“ entdeckt hat, steht eine purpurrote Tänzerin, die anmutig tanzend einen Stock schwingt.
Im Haus des Sacerdos Amandus entdeckte man bei den Ausgrabungen neun menschliche Skelette von Männern, Frauen und Kindern, die bei der Flucht vom niederstürzenden Haus begraben wurden. Es fasziniert, wie reich diese „Domi“ mit mythologischen Motiven ausgeschmückt waren. Da sind zum Beispiel die Abbildungen von Perseus, Andromeda, Herkules im Garten der Esperidi und die Flüge von Daedalus und Ikarus. Das Besondere an dieser opulenten Villa ist auch, dass sie gleich drei Eingänge hatte. Hier wurde auch die Bronzestatue des Ephebes gefunden, die jetzt im archäologischen Nationalmuseum in Neapel ausgestellt ist. Sie war die Kopie eines griechischen Originals aus der Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christus, die einen Knaben abbildete, der die Pubertät hinter sich gebracht und gleichsam die Bürgerrechte erlangt hatte. Der Besitzer des Hauses funktionierte sie übrigens zu einem Lampenständer für den Garten um, in dem er üppige Gelage feierte.
Der Archäologe Andrea Carandini gehört indes heute zu den Unkenrufern, die die jüngste Einweihung als Augenwischerei ansehen und vor dem drohenden Untergang des ausgegrabenen Pompeji warnen. Schließlich wüste man noch immer nicht, welche Häuser tatsächlich einsturzgefährdet seien.
Wo gewissermaßen alles begann
Giambattista Tiepolo: der Meister der perfekten, erhabenen und mythologischen Malerei. | |
Giambattista Tiepolo war der venezianischen Malerfürst des achtzehnten Jahrhunderts. Patriarchen, Fürsten und Könige scheuten weder Kosten noch Mühen, um ihn zu engagieren. Wie kaum ein Anderer seiner Zunft beherrschte Tiepolo die Kunst der mytholoischen und theatralischen Abbildungen. Er wurde in Venedig im Jahre 1696 in einer Familie von "Kaufleuten des Meeres" geboren und lernte das Rüstzeug der Malerei in der Werkstatt von Gregorio Lazzarini, der zu den bekannten Barockmalern Venedigs gehörte. Tiepolos Ruhm ging weit über die Grenzen der Republik Venedig und Italien hinaus und erreichte Österreich, Deutschland und schließlich auch Spanien, wo er im Jahre 1770 starb. Eine einzigartige Ausstellung in der Villa Manin von Passariano (Udine) zeichnet nun eindrucksvoll seinen künstlerischen Werdegang nach. Zu sehen ist die einmalige Schau in der prächtigen Villa Manin di Passariano nahe Udine, die der Sitz des letzten Dogen von Venedig war. Kuratoren der Ausstellung sind die Kunsthistoriker Giuseppe Bergamini, Alberto Craievich und Philip Pedrocco, die über ein Jahr an deren Organisation gearbeitet haben. | In den folgenden Jahren nahm es Tiepolo nicht nur mit Übervätern der venezianischen Malerei wie Tizian und Tintoretto auf, sondern auch mit dem flämischen Barockmeister Rembrandt, von dem er insbesondere von seiner Kupferstichtechnik beeindruckt war. Wahrhaft meisterlich ist auch, wie Tiepolo nie zuvor gesehene Farben mischt, die von enormer Tiefe und Facettenreichtum sind. Außergewöhnlich war auch seine Technik der Perspektive, die er gekonnt durch den Einsatz von Licht und Farbe schuf. Ein Beispiel dafür ist sein Gemälde "San Giacomo maggiore sottomette un moro" aus dem Nationalmuseum in Budapest, in dem die Figuren voller Bewegung sind und alles überstrahlen. Unübertroffen ist hier auch die Theatralik der Komposition, die an Paolo Veronese erinnert. |